23.10.2008, eb/Eberhard Basler
Der 88jährige Dr. h.c. Max Mannheimer ist es gewöhnt, Jugendlichen und Erwachsenen in Vorträgen seine Erlebnisse im KZ und die Schrecken des Dritten Reiches zu erzählen, das schließlich insgesamt 50 Millionen Tote hinterlassen hat. Außerdem ist der Träger des
Bundesverdienstkreuzes in seiner Verarbeitung des Holocaust auch zum Maler geworden, der die Kunst als Therapie schätzen gelernt hat.
Beim dritten Geschichtstag des Landkreises Mühldorf in der Garser Hauptschule, der einen überwältigenden Besuch zu verzeichnen hatte, stand Mannheimer dem Künstler und Kunstpädagogen Gernot Sorgner bei einem Workshop als Zeitzeuge zur Seite.
Eine große Schülergruppe informierte sich zunächst intensiv über die schrecklichen Erlebnisse Mannheimers im KZ und die langdauernde psychische Verarbeitung nach dem Krieg, um dann durch eigenes Tun kreativ die Kunstwerke der KZ-Insassen mit den damals verfügbaren einfachen Materialien nachzuempfinden.
Für die Lagerinsassen, so Sorgner und Mannheimer, war es eine innere Befreiung, sich künstlerisch auszudrücken: Kunst hilft, das Unsagbare zu sagen und zu vergessen. Die einen zeichneten bereits während der Haft. Andere, wie Max Mannheimer, hatten im KZ noch nicht die Möglichkeit dazu.
Berühmt geworden seien die Zeichnungen der Kinder in den KZ Auschwitz und Theresienstadt, womit sie die Gefangenschaft leichter ertragen hätten. Oft war das Malen auch verboten, damit keine unerwünschten Informationen und Dokumentationen nach draußen getragen werden konnten. Die Aussage des Lagerinsassen Wladislaw S. in Auschwitz stand aber für viele: "Dass Malen verboten war, nahm ich nicht zur Kenntnis! Wenn ich nicht gemalt hätte, hätte ich nicht überlebt."
Max Mannheimer brauchte lange Jahre, um sich von den Horrorerlebnissen der NS-Zeit zu lösen und stellt heute fest: "Ich habe Auschwitz verlassen, aber Auschwitz hat mich nie verlassen!"
Während seines ersten Psychotherapieaufenthaltes habe er im Bad eines Sanatoriums sogar einmal geprüft, ob aus der Dusche wirklich Wasser käme und nicht etwa Gas. Dann malte er 1954 St. Bartholomä am Königssee und entdeckte in der Folge, wie er mit seinem künstlerischen Talent den Holocaust verarbeiten konnte..
Die Schüler bewunderten die auf CD präsentierten meist abstrakt gehaltenen Werke, in denen Mannheimer die Farben "wunderbar vermält". Max Mannheimer und Gernot Sorgner wiederum zeigten sich am Schluss des Workshops sehr beeindruckt über die ohne jede Beeinflussung entstandenen tollen Kunstwerke, in denen jeder Schüler das Gehörte schließlich mit den bereitgestellten Materialien bei leiser Musik verarbeitet hatte.
Nach einem eindrucksvollen Tanz "Ohne Worte" von Mühldorfer Hauptschülern, die die Situation der Menschen in allen Phasen des Dritten Reiches bis zum Untergang eindrucksvoll nachstellten, hatte Professor Dr. Waldtraud Schreiber als Initiatorin und Hauptorganisatorin der Geschichtstage in das Thema Nationalsozialismus eingeführt.
Der große Ansturm jüngerer und älterer Besucher konnte sich dann im Laufe des Tages mannigfach mit der NS-Zeit im Landkreis Mühldorf auseinandersetzen, sei es in Gesprächen mit vielen Zeitzeugen und Historikern, beim Besuch von Schulprojekten oder bei Workshops und Mitmachprojekten zu Film, Fotographie und Theater, Lesen und Ahnenforschung. Die umfangreiche Ausstellung im Foyer der Garser Hauptschule zeigte teils einmalige Exponate und von den Schulen im Landkreis liebevoll zusammengestellte Übersichten, Fundstücke und selbstgefertigte Arbeiten zu vielen Themenbereichen.
Die "Kriegsküche" bot Gerichte wie Kartoffeln mit "Rührl", Kriegsstreuselkuchen oder Sauerkrautsuppe. Einziges Zugeständnis an die heutige Zeit: Es gab Salz zum Würzen. Wer wollte, konnte die Rezepte mit nach Hause nehmen.
Als Zeitzeugen berichteten und diskutierten mit den Bürgern und Schülern in den Gesprächsrunden unter anderem ehemalige Angehörige der HJ und des BdM, frühere Schüler von Eliteschulen des NS-Regimes, Angehörige der Klöster, ungarische Ex-Häftlinge und Arbeiter, Mitarbeiter der damaligen Rüstungsindustrie und viele ehemalige Soldaten sowie deren Geschwister und Ehefrauen.
Da ging es um Schulalltag und Freizeit, die Kinderlandverschickung, die KZ-Außenlager Mettenheim und Mittergars, Dienstverpflichtungen und Zwangsarbeit, die Werbung für die Wehrmacht und die SS, vielfältige Kriegserfahrungen daheim und in der Fremde, den Bombenkrieg und die Tiefflieger im Landkreis oder die Lazarette in Au und Gars.
Viele haupt- und ehrenamtliche Helfer, Museumsleiter, Vereine, Lehrkräfte und Schüler sowie Studierende aus Bayern und Ungarn hatten zusammengeholfen, den Geschichtstag vorzubereiten. Auch viele Repräsentanten des öffentlichen, schulischen und politischen Lebens von der kommunalen bis zur Bundesebene waren in die Hauptschule Gars gekommen.
Ganz besonders erfreut zeigte sich Professor Dr. Waltraud Schreiber beim Abschlussempfang über das intensive Mitwirken aller Schularten, besonders aber der acht Hauptschulen im Landkreis. Die angereiste Delegation aus Ungarn konnte in den Tagen ihres Aufenthaltes viele Eindrücke sammeln, die Studenten bleiben noch zu einem Praktikum in Bayern.
Landrat Georg Huber brachte seinen großen Dank an alle Organisatoren und seine Freude über das große Echo der Bürger zum Ausdruck. Man sei ausgezeichnet ins Gespräch gekommen. Ohne Zeitzeugen, so Huber, würde der Jugend eine wichtige Chance genommen, die NS-Zeit wirklich zu erfahren.
Für die Zukunft wünscht sich der Landrat endlich eine Regelung mit der Bundesrepublik für das Bunkergelände im Mettenheim, um zusammen mit dem Kreisheimatmuseum auch dieses geschichtliche Zeugnis entsprechend betreuen zu können.